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Gleichberechtigung erst in 200 Jahren?

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Einen Artikel über Gleichberechtigung auseinanderzupflücken ist mutig. Dies auch noch als Mann zu tun ein umso heiklerer Balanceakt. Es weiß demnach nicht nur Susanne Günther was sie von Kritikern zu hören bekommen wird, sondern auch mir sind die Vorwürfe, die ich nach diesem Text erhalten werde, völlig klar. Dabei sind sich die Stadträtin der Grünen und ich im Ziel sogar einig: Der Frauenanteil in der Politik – vom Bundestag bis zu den Kommunalparlamenten – ist zu niedrig und dagegen müssen wir etwas tun. 

Günthers Kritik, dass fünf der neun Gruppierungen im Freisinger Stadtrat ausschließlich von Männern vertreten sind, greift zu kurz. So lässt sie doch die unterschiedliche Stärke völlig außer Acht. Als FDP im Kreistag werden wir uns wohl kaum damit schmücken als einzige Gruppierung exakte Geschlechterparität zu haben, schließlich sind Susanne Hartmann und ich ja auch nur zu zweit. Außerdem hatte die FDP mit Anna-Maria Sahlmüller 30 Jahre lang eine engagierte Stadträtin und die beiden Nachrücker für Einzelkämpfer Barschdorf sind weiblich, ebenso fanden sich unter den Top 5 auf der FDP-Liste drei Frauen. Bei SPD und Linken ist das ähnlich. Am Ende entscheidet der Wähler mithilfe des urdemokratischen, bayerischen Wahlrechts über die Mandatsträger: Keine fixen Listen, sondern die Bewerber können nach oben und unten gehäufelt werden. 

Das Problem setzt nicht erst bei der Repräsentanz in den gewählten Gremien, sondern schon viel früher an. Frauen sind in allen (!) im Bundestag vertretenen Parteien unterrepräsentiert: Der Anteil weiblicher Mitglieder reicht laut dem Parteienforscher Oskar Niedermayer von 16% bei der AfD bis zu 39% bei den Grünen. Wir müssen also mehr Frauen motivieren, sich in Parteien und politischen Gremien zu engagieren – und auch die Rahmenbedingungen verändern. Denn Frauen machen anders Politik. Unaufgeregter und mit weniger Ego – die meisten zumindest.

Eine gesetzliche Quote ist allerdings keine Lösung. Zum einen aufgrund der Verfassungswidrigkeit, wie zuletzt beim Paritätsgesetz in Thüringen zu sehen. Wer die Entscheidung für falsch oder ungerecht empfindet, dem ist ein Blick in das ausführliche, aber sehr klare und verständliche Urteil zu empfehlen. Zum anderen wäre eine Paritätsquote aber auch ein Widerspruch zum erklärten Ziel. Nicht das Geschlecht, sondern Talent, Fleiß, Engagement und Können sollen ausschlaggebend sein.

Wenn die Gleichstellung in politischen Ämtern den Grünen so ein großes Anliegen gewesen wäre, hätten sie nicht Robert Wäger sondern eine Frau als weitere stellvertretende Landrätin ins Rennen geschickt. Denn die einzige Frau in der Führungsriege des Landkreises kommt nämlich mit Anita Meinelt ausgerechnet aus der CSU. Und so wie es den Grünen mit Robert Wäger hoffentlich nicht um das Geschlecht, sondern um die persönliche Eignung für die ehrenvolle Aufgabe gegangen ist, so ist Anita Meinelt auch für ihre über die Fraktionsgrenzen hinweg geschätzte Kompetenz als stellvertretende Landrätin gewählt worden. 

Bei der gerügten „maskulinen“ Stadtplanung mit vielen Parkplätzen und wenig Kinderspielplätzen stellt sich für mich schon eine Frage: Fahren Frauen kein Auto und haben Männer keine Kinder? Es ist wirklich schade, wenn hier grüne Themen fälschlich mit der Gleichberechtigung vermengt werden und zugleich noch ein längst überholtes Rollenbild bedient wird. Zur geforderten Gleichberechtigung gehören Väter, die in Teilzeit arbeiten und Elternzeit nehmen – auch hier gibt’s noch Luft nach oben. Und eben auch neue Rahmenbedingungen in der Politik: Weniger Stammtische abends in der Eckkneipe und neue familienfreundliche Veranstaltungsformate am Samstagvormittag. 

Wenn wir in dieser Sache wirklich weiterkommen wollen und Gleichberechtigung nicht erst in 200 Jahren erreichen wollen, dürfen wir uns allerdings nicht an Denkmälern und Straßennamen aufhängen. Dass es davon kaum weibliche in der Domstadt gibt, ist eine lehrreiche Aussage über die Vergangenheit und liegt vielleicht daran, dass weibliche Bischöfe in der katholischen Kirche etwa so rar sind wie Eisbären in der Sahara. Es ist Zeit, was zu ändern. Das schaffen wir aber nicht mit radikal-feministischen Aktionen und bösen Spitzen gegen den politischen Gegner, sondern nur, wenn wir in der Sache an einem Strang ziehen! Female forward!

Artikel „Gleichberechtigung erst in zirka 200 Jahren“, Freisinger Tagblatt vom 27. Juli 2020

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