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Fluch und Segen – Was wir von Corona für unser Bildungssystem lernen

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Corona war ein Segen. Ja, richtig gelesen. Denn die Pandemie hat das Schließen der Schulen erforderlich gemacht und damit Lehrern und Verantwortlichen im Bildungssystem endlich gezeigt, dass wir Jahre verschlafen haben den Unterricht digitaler zu gestalten. Spinnt der jetzt komplett?

Ihr habt Recht. Covid-19 brachte die Wirtschaft und Finanzmärkte auf Talfahrt, kostet unzählige Menschenleben und bedeutet für uns alle große Freiheitseinschränkungen. Die Pandemie war ein Fluch an dem nur wenig Positives zu finden ist. Wollen wir es trotzdem versuchen? Gerade im Schulwesen haben sich plötzlich Türen geöffnet, wo Digitalisierungsbefürworter und Vorreiter moderner Lernkonzepte jahrzehntelang gegen Wände geredet haben. Konservative Minister, strahlungsbesorgte Elternverbände und gleicher-Unterricht-seit-30-Jahren-Lehrer kamen auf einmal in Bewegung. Lasst uns den Schwung nutzen und aus Corona Lehren für die Zukunft ziehen!

Overhead-Projektoren raus, Digitalisierung rein. Eine alte, ausgelutschte Forderung der Liberalen. Hat sich ja auch nichts geändert, könnte man entgegnen. Aber was ist denn diese Digitalisierung? Manch ein Direktor, ja sogar Schüler und Lehrer, würden Dokumentenkameras als digitale Revolution bezeichnen. Endlich landet der Tageslichtprojektor auf dem Elektroschrott und die gefürchtete Hausaufgabenfolie, auf der man mit Folienstift mühsam das genaue Diagramm der Matheaufgabe zeichnen musste und dann mit dem Handballen doch wieder alles verwischte, ist Vergangenheit. Heft drunter gelegt und zack! Aber nein, das ist keine digitale Revolution. Wer das revolutionär findet, kauft sich auch einen CD-Player, weil der Walkman aus der Mode gekommen ist – in Zeiten von Spotify. Es braucht eine ganzheitliche Strategie bei der wir Unterricht, wie wir ihn heute kennen, komplett umkrempeln. 

Erfolgreiche digitale Bildung ist ein kompliziertes Puzzle

Es ist ein Puzzle mit unendlich vielen Teilen, nicht jedes passt für jede Schule, nicht für jeden Lehrer und erst recht nicht für jeden Schüler. Ein solches Puzzleteil sind digitale Lernplattformen: Moodle oder mebis zum Beispiel. Während viele Lehrer nach den Schulschließungen ihre Arbeitsaufträge per Mail verschickten, haben einige ihren Unterricht nahezu komplett wie gewohnt im Netz fortgesetzt. Die Plattformen ermöglichen fast alles: Bereitstellen von Arbeitsmaterialien, Streaming oder interaktive Filme, Austausch über Foren und eine Chatfunktion sowie Quizze und Abfragesituationen für Tests. Das alles gibt es schon seit Jahren, genutzt wurde es kaum. Denn es fehlt an Fortbildungen für die Lehrkräfte, dass diese solche Tools auch nutzen. Das hat Corona unter Beweis gestellt, nur ein Bruchteil kannte sich überhaupt damit aus. Es hat Tage gedauert bis alle Schüler und Lehrer einen Zugang hatten. Und digitalaffine Lehrer klagen über zu langsames Internet und fehlende digitale Infrastruktur in den Klassenzimmern. Deshalb müssen endlich alle Lehrer in mehrtägigen Schulungen fit gemacht werden, junge Referendare gleich von Anfang an in die neue digitale Methodik eingeführt werden und alle Schulen mit Highspeed-Internet versorgt werden. Der Digitalpakt Schule war ein Anfang, wenn leider auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Über moodle oder mebis lässt es sich auch mit ganz neuen Methodiken unterrichten. Eine davon nennt sich Flipped Classroom – ein weiteres Puzzlestück – und dreht den Unterricht quasi um. Das was der Lehrer den Schülern fachlich beibringen muss, verwandelt er in ein Erklärvideo und schickt es der Klasse als Hausaufgabe, quasi zur Vorbereitung auf den Unterricht. Kinder und Jugendliche lernen heute sowieso schon mit Videos von TheSimpleClub oder Explainity auf YouTube. Warum also setzen nicht auch Lehrer und Schulbuchverlage auf eigene Videoformate, eben solche Erklärfilme, die in den Lernplattformen integriert werden können? Denn so wird die Wissensaneignung individueller: Die Schüler entscheiden wann, wo und wie oft sie den Clip anschauen. Und im Unterricht bleibt Zeit für Übungen, persönliche Betreuung und eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Thema. Apropos, die Wissensvermittlung mit Video klappt natürlich auch im Home Schooling.

Aber wo ist denn jetzt das Visionäre? Das alles gibt es schließlich schon seit über zehn Jahren. Wie wär’s mit Tablets als Schulbuch? Nicht genug? Nicht einfach nur ein PDF des Schulbuchs auf dem iPad, sondern eben richtig digitale Schulbücher. Bücher, die mitlernen, den Fortschritt des Schülers kennen und entsprechende Aufgaben zusammenstellen. Von künstlichen Intelligenzen berechnet, wo noch Übungsbedarf besteht, auf den Schüler zugeschnitten, um ihn am besten zu fördern und fordern. Leider sind wir davon noch meilenweit entfernt. Das liegt aber nicht an den Schulbuchverlagen. Klett und Cornelsen haben bereits Konzepte in der Schublade liegen. Es sind die Ministerien, die diese Revolution noch verhindern. Welcher Fluch muss also unser Land heimsuchen, dass wir mit einem solchen Fortschritt gesegnet werden?

Der Beitrag ist im Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen erschienen. Die komplette Ausgabe 02/2020 ist über diesen Link abrufbar.

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