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Brief an Verkehrsminister Scheuer: Förderrichtlinien für U-Bahn-Ausbau anpassen

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FDP-Kommunalpolitiker aus der Stadt und dem Landkreis München sowie dem Landkreis Freising haben gemeinsam einen Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer geschrieben. Die elf Unterzeichner fordern eine zügige Anpassung des standardisierten Bewertungsverfahren, das zur gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse von ÖPNV-Projekten herangezogen wird. Zahlreiche Infrastrukturprojekte scheitern an diesem von vielen Experten kritisierten Verfahren, weil der errechnete Faktor unter dem Wert 1 liegt, bei dem eine Förderfähigkeit nach Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz gegeben wäre. Im Ballungsraum München betrifft das derzeit unter anderem die Verlängerung der U5 im Südosten und der U6 in den Landkreis Freising. Für letztere wurde am vergangenen Donnerstag im Freisinger Kreistag das Ergebnis präsentiert. 

Richtlinien für ÖPNV-Ausbau müssen an Bedürfnisse von Metropolregionen angepasst werden


Die Enttäuschung über die Bewertung der U6-Verlängerung nach Neufahrn als nicht wirtschaftlich sitzt immer noch tief. Es kann nicht sein, dass ein so dringend notwendiges Infrastrukturprojekt auf die lange Bank geschoben wird, weil ein Berechnungsverfahren aus der Zeit gefallen ist“, erklärt Timo Ecker, Kreisvorsitzender der FDP Freising. 

„Das standardisierte Bewertungsverfahren wurde in einer Expertenanhörung im Bayerischen Landtag letztes Jahr im Juni stark kritisiert, es gilt als völlig veraltet und überholt“, moniert Tobias Weiskopf, Kreisrat im Landkreis Freising. „Das Verfahren verhindert nicht nur bei uns den Ausbau von U-Bahnen. Da sind Kommunen in ganz Deutschland von betroffen. Das Problem ist im Ministerium längst bekannt, getan hat sich seit Jahren leider nichts.“

München wächst, das gleiche gilt für die gesamte Metropolregion. Damit alle von dem Wachstum gleichermaßen positiven Nutzen ziehen können ist es so enorm wichtig, die U6 zu verlängern“, so Stadtrat Fritz Roth. „Infrastruktur mit Zukunft bedeutet, sowohl die Stadt als auch den Landkreis attraktiv zu gestalten und die gesamte Region einander näher zu bringen.“

Gute Verkehrspolitik endet nicht an an der Landkreisgrenze

Katharina Diem, Kreisrätin im Landkreis München, ergänzt: „Verkehr ist kein Thema, das an der Landkreisgrenze endet. Wir müssen deshalb vernetzt und grenzübergreifend denken. Als FDP gehen wir heute voran und fordern zusammen mit unseren Kollegen aus dem Landkreis Freising und der Stadt München den Bundesverkehrsminister dazu auf das Bewertungsverfahren zur Förderung von Schienen-Personennahverkehr anzupassen.“

Ecker fordert: „Verkehrswende machen heißt Alternativen schaffen und dabei brauchen die Kommunen die Unterstützung des Bundes. Andreas Scheuer sollte handeln und den Weg für umwelt- und klimafreundliche Mobilität frei machen.

Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer:

Sehr geehrter Herr Bundesverkehrsminister Scheuer,

die Metropolregion München ist eine der attraktivsten Regionen Deutschlands und erlebt einen anhaltenden Trend des Wachstums der Wirtschaft sowie auch in der Bevölkerungszahl. Neben dem Mangel an Wohnraum ist es vor allem der zunehmende Verkehr, der sich dabei als Herausforderung für alle politischen Bestrebungen offenbart, den Bürgern der Region ein gutes Leben zu ermöglichen.

Als Kommunalpolitiker ist unser vordergründiges Anliegen die Gestaltung des öffentlichen Raumes, sodass er dem Bedürfnis nach Mobilität jedes Bürgers nachkommt ohne dabei verschiedene Arten der Mobilität gegeneinander auszuspielen oder gar Politik gegen eine bestimme Gruppe zu betreiben. Des Weiteren hat es, auch im Sinne des Klimaschutzes, Priorität den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Um dieses Ziel zu erreichen ist der Ausbau von S- und U-Bahnen in Metropolregionen unverzichtbar.

Seit Jahren kämpfen wir für einen solchen Ausbau, der Verlängerung der Linie U6 über Garching nach Norden in den Landkreis Freising. Der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV), das Bayerische Verkehrsministerium und der Landkreis Freising haben deshalb eine Aktualisierung der Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2009 in Auftrag gegeben, die dem Freisinger Kreistag letzten Donnerstag vorgelegt wurde. Zu unserer großen Enttäuschung hat die Kosten-Nutzen-Berechnung einen Wert unterhalb der Grenze zur Förderung durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ergeben. Zusätzlich sieht sich der Landkreis München aktuell mit der Tatsache konfrontiert, dass nicht einmal die bestehende Strecke der U6 zwischen Fröttmaning und Garching-Forschungszentrum finanziell ausreichend abgesichert ist.  Auch die Verlängerung der U5 von Neuperlach-Süd aus bis in den Ludwig-Bölkow-Campus im Südosten Münchens scheitert an diesem Kriterium. Selbst Varianten, die versuchen die Kosten zu senken, schaffen es nicht einen Kosten-Nutzen-Faktor von 1 zu erreichen. Dies sind allerdings nur zwei konkrete Beispiele von zahlreichen verkehrlich sinnvollen und notwendigen Vorhaben, die an den Förderkriterien scheitern.

Wir sehen das Problem dabei im standardisierten Bewertungsverfahren dieses Gesetzes. Dieses aus den 80er Jahren stammende Bewertungsverfahren bildet weder den volkswirtschaftlichen noch den ökologischen Nutzen angemessen ab, da der Nutzen aus dem Anschluss an eine bestehende Linie unter den Tisch fällt und die Einsparungen im Bereich der CO2-Emissionen in der Neufassung von 2016 schwächer ins Gewicht fallen als davor. Der Nutzen einer Verlängerung oder des Ausbaus von S- oder U-Bahnlinien ergibt sich nicht nur aus den direkt angebundenen Haltestellen, sondern auch aus den folgenden. Andreas Mäder (Verkehrsverbund Großraum Nürnberg GmbH) hat sich in der Expertenanhörung vom Juni 2019 im Verkehrsausschuss des Landtags (Protokoll, S. 25 ff) wie folgt zu diesem Thema geäußert:

„Der Fördermittelgeber sagt, es darf nur das Teilstück für den Bau betrachtet werden, sodass Nutzen und Kosten zusammenpassen. (…) Dieses Problem gibt es überall dort, wo Sie Straßenbahnen und U-Bahnen verlängern wollen und damit überall dort, wo Sie an eine vorhandene Infrastruktur etwas anflanschen wollen.“

Um Projekte dieser Art zu finanzieren brauchen die Kommunen finanzielle Unterstützung, die Schaffung neuer Infrastruktur ist, ohne eine solche für keinen Landkreis zu stemmen. Es ist deswegen auch keine Überraschung, wenn die Kommunen zur Bewältigung des Verkehrs auf bezahlbare Alternativen wie die Straße setzen, auch wenn SPNV deutlich besser wäre. Es ist deswegen auch ein Unding, dass mit zweierlei Maß gemessen wird und den Kommunen beim Straßenbau mehr Autonomie bei der Bewertung eingeräumt wird, da hierbei das standardisierte Bewertungsverfahren nicht durchlaufen werden muss. Dies hat Hr. Mäder ebenfalls in der Expertenanhörung ausgeführt: 

„Das standardisierte Bewertungsverfahren für Investitionen in den Schienenverkehr gibt es für den Straßenverkehr in dieser Form nicht. Der muss das Verfahren an der Stelle also nicht durchlaufen. Unabhängig davon (…) ist das Verfahren im Prinzip immer noch auf Investitionen in den Neubau einer Anlage ausgerichtet.“

Die derzeitige Praxis der Kosten-Nutzenberechnung macht den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs auch für wohlhabende Landkreise de facto unmöglich. Dass eine Region mit einem prognostizierten Wachstum von fast 8% bis 2038 allein aus Mangel an Geld wichtige Infrastrukturprojekte nicht umsetzen kann, ist vor allem auf lange Sicht ein Problem. Seit der letzten Bewertung im Jahr 2009 hat sich der Kosten-Nutzen Faktor im Beispiel der U6-Verlängerung in der besten Variante lediglich von 0,1 auf 0,11 verbessert und das trotz eines massiven Bevölkerungszuwachses in einer u.a. durch den Flughafen verkehrstechnisch stark belasteten Region.


Ingo Wortmann, Geschäftsführer der MVG, hat in der Anhörung eine mehr als nüchterne Prognose gegeben:

„Mit dieser standardisierten Bewertung werden wir den massiven Infrastrukturzubau, den wir insbesondere in den Städten benötigen, nicht bewerkstelligen können.“

Auch die im Januar dieses Jahres beschlossene Novellierung des Gesetzes schafft dem Problem keine Abhilfe. Gemäß § 3 Nr. 1 lit. c Hs. 2 GVFG können bestimmte Kriterien im Bewertungsverfahren (z.B. Klima- und Umweltschutz, Verkehrsverlagerung oder Aspekte der Daseinsvorsorge) vorhabenspezifisch stärker gewichtet werden. Die Formulierung ist allerdings extrem schwammig und lässt riesigen Interpretationsspielraum. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 GVFG sind dann zudem nur 60 % der zuwendungsfähigen Kosten förderfähig. Das ist für den dringend benötigten Ausbau von Schieneninfrastruktur unzureichend.

Das Ziel muss es sein den Verkehrskollaps in Ballungszentren wie München zu verhindern und dafür müssen wir heute anfangen die Wege von morgen zu bauen. Wir wenden uns deshalb als Kommunalpolitiker landkreisübergreifend mit der Bitte an Sie, eine zügige Anpassung des Bewertungsverfahren an die heutigen Bedürfnisse von Metropolregionen wie der der Stadt München vorzunehmen. Weder der Zuzug in den Raum München noch der voranschreitende Klimawandel lassen es zu, dass solche dringend notwendigen Projekte nicht rechtzeitig in Angriff genommen werden.

Mit freundlichen Grüßen

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